Der Tag des Gedenkens
Es ist Frühlingsanfang und zarte Blüten sind schon sichtbar. Der Winter verabschiedet sich und Neues beginnt. Das Neue ist nicht ohne sorgenvolle Fragen. Wird es ein verregneter Sommer? In der heutigen Zeit fragen wir uns eher, ob die Hitze erträglich sein wird. Fragen ändern sich. Nichtsdestotrotz ist der Frühling mit Hoffnung verbunden. Es wird heller, freundlicher und die Natur wird bunt. Wer pflanzt und sät, trägt dazu bei. Der offene Blick auf die schöne Pracht einer einzelnen Blüte, sei sie noch so klein und unscheinbar, kann einen Augenblick des Lächelns in unser Leben bringen. Gemeinschaftliche Gärten steigern das positive Lebensgefühl. Zusammen gärtnern, Tipps austauschen oder den Garten des Nachbarn bestaunen. Ein Teil von vielen zu sein, das kann unserem Wohlbefinden förderlich sein.
Die Symbolik des Frühlingsanfangs haben die Mitarbeiter*innen des Ricam Hospizes im Sinn, wenn sie seit 25 Jahren den Gedenktag an die Verstorbenen des letzten Jahres (fast) immer am Wochenende um den 21. März herum begehen. Die Zugehörigen der Verstorbenen werden eingeladen, mit den Mitarbeiter*innen zusammen innezuhalten, sich des Lebens und des Abschieds einzigartiger Menschen zu vergegenwärtigen und gleichwohl kraftvoll den Schritt in die Zukunft zu wagen.
Erinnern, weinen, lachen und Zukunft wagen – Gedenktag 2025
Am letzten Samstag, den 22. März 2025, kamen ca. 120 Menschen in die Dreieinigkeitskirche an der Lipschitzallee in Rudow. Die Kirche war reichlich mit Blumen geschmückt, die großzügig gespendet und von drei Mitarbeiterinnen mit floristischem Geschick wunderschön arrangiert wurden. An dieser Stelle ein Dank an alle Mitarbeitenden für den vielfältigen Einsatz, den sie mit Freude machen. Einladungen schreiben, schleppen, auf- und abbauen, backen und aufräumen und vieles mehr … sie sind gerne dabei, weil es ein wichtiger Tag im Jahresverlauf ist.
Um 15:00 Uhr wurde zu Kaffee, Kuchen und kleinen sehr appetitlichen Häppchen eingeladen. Die sehr besondere Dreieinigkeitskirche bietet im großzügigen und offenen Foyer einen guten Ort für das Zusammenkommen vieler Menschen. Viele blumengeschmückte Tische boten An- und Zugehörigen Platz für den Austausch untereinander und mit den Mitarbeiter*innen des Ricam Hospizes.Hier wird deutlich, wie viele Menschen mit ihren jeweils besonderen Geschichten im letzten Jahr vom Ricam Hospiz betreut wurden. Eine Frau berichtet dankbar, dass sie den Wunsch ihres Mannes erfüllen konnte. Mit Unterstützung von palliativ arbeitenden Pflegenden, Ärzt*innen und dem ambulanten Hospizdienst konnte ihr Mann zu Hause sterben. Andere erzählen von der guten Zeit, die ihr Angehöriger noch im Tageshospiz und später im stationären Hospiz hatte. Das Abschiednehmen ist keine leichte Aufgabe, mal bleiben Verletzungen, weil es nicht aufgelöst werden konnte. Ein Mann erzählt von Veränderungen seiner Frau, es wurden Worte gesagt, die vorher nicht denkbar waren. Metastasen im Gehirn verändern Menschen. Er ist mit seiner Trauer nicht allein. Zu erkennen, dass es die Krankheit war und es anderen ähnlich ging, hilft. In diesem Moment gesehen zu werden, tröstet ein wenig. Und es gibt immer auch den Moment, über den man lachen kann. Weinen und lachen liegen so dicht beieinander.
Um 16:00 Uhr beginnt das festliche Gedenken, musikalisch eingeleitet und begleitet von Musiker*innen am Flügel, Saxofon, Gitarre, Körpertambura und Gesang. Dem Duo Zerning und Kleiner, Sigrid Noyer und Maike Krullmann sei gedankt.
Rituale begleiten die Veranstaltung. Mechthild Schindler, die Trauerberaterin im Ricam Hospiz, leitet die jeweiligen Rituale mit Worten und Texten ein. Ein Stein in der Hand der Teilnehmer*innen erzählt von seinen Eigenschaften, jeder ist individuell, zeigt Spuren seiner Geschichte, ist geformt worden und ist hart, fest und schön. Mit diesem Stein können wir uns verbinden, ihn dann auf den schön gestalteten Tisch in der Mitte des Raumes ablegen.
Im Hauptteil der Zeremonie lesen verschiedene Mitarbeiter*innen die Namen der Verstorbenen vor. Es sind insgesamt 378 Menschen, die 2024 vom Ricam Hospiz begleitet wurden. Jeweils am Ende eines Quartals werden die Teilnehmer*innen aufgefordert, eine Kerze anzuzünden und ebenfalls auf den Tisch in der Mitte abzulegen.
Nur ein Stein, eine Kerze? Nein, die Gegenstände bekommen eine Zuschreibung. Sie werden zu Symbolen, die eine große emotionale Bedeutung haben. Man sieht es, wenn die Menschen die Kerzen anzünden und behutsam mit Bedacht ablegen.
Rituale sind nicht kompliziert, einfache für alle verständliche Symbole, auf die man sich einigt. Vielleicht konnten die Teilnehmer*innen von den drei Schritten der Trauer etwas erleben, die wir von einem unbekannten Verfasser auf die Einladung geschrieben haben:
Gestern
warst Du noch bei uns:
mit Deinem Lachen, mit Deiner Freude,
mit Deinen Worten, mit Deiner Offenheit.
Heute
bist Du bei uns:
in unseren Tränen, in unseren Fragen,
in unserer Trauer.
Morgen
wirst Du bei uns sein:
in Erinnerungen, in Erzählungen,
in unseren Herzen
Gemeinsam ein hoffnungsvolles Lied zu singen verbindet. In diesem Jahr wurde mit Reinhard Meys „Über den Wolken“ die Veranstaltung beendet.
Rituale des Abschieds
Im Ricam Hospiz gibt es einige Rituale des Abschieds. Sie werden schon bei der Aufnahme eines Gastes sichtbar. Das sie bedeutsam sind, sagen oder schreiben die An- und Zugehörigen immer wieder. Jede Generation muss ihre eigenen Rituale entwickeln. Behutsam werden neue Mitarbeiter*innen die Rituale anpassen und es wird für die Gäste und ihre Zugehörigen tröstend sein. Eben ein Teil der sogenannten Trauerarbeit.
Die Trauerarbeit hat keine reguläre Finanzierung. Wichtig und unerlässlich ist sie trotzdem. Dank Spenden können wir eine Trauerberatung und eine Trauergruppe anbieten.
Wenn Sie Fragen dazu haben, melden Sie sich gerne im Ricam Hospiz.
Johannes Schlachter, Hospizleiter